27. August 2023

Neu in der beliebten Reihe

„Selbstreferenzielles und Rechthaberei -
Vor zehn Jahren erschien …“

Das multimediale E-Book „Double Travel“

2012 hatten unsere Reise in den Benin und das dortige Kunstprojekt „Double Travel“ stattgefunden. Ein Jahr später, vor nunmehr zehn Jahren hatte ich das dazugehörige multimediale E-Book fertig und online gestellt.

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PDF mit den Texten und den Fotos (135 MB)

Im Verlauf des Projekts hatte es auch viel Streit gegeben. Sidy, der gebürtige Afrikaner im Team, war ausgestiegen. Auch mit unseren beninischen Begleitern hatte es manch harte Auseinandersetzung gegeben. Vielleicht war auch der Wiener Verlag Mandelbaum nicht nur wegen des hohen Druckaufwands mit vielen Farbfotos (und weil er sich das gerne nach Art eines Zuschussverlags vom Autor, von mir hätte vor- und mitfinanzieren lassen,) sondern auch wegen manch heikler Positionen in dem Buch von der zuvor gemachten Zusage, es zu veröffentlichen, abgerückt? Darüber kann ich weiterhin nur spekulieren. Jedenfalls kam das Buchprojekt nicht zustande. Sidy war, wie gesagt, noch während des Projekts ausgestiegen. Und bei verschiedenen Diskussionen hatte ich mir damals bereits im Benin nicht immer nur Freunde gemacht.

Aber, wie das halt oft so geht mit meiner Kunst: Kaum sind zehn Jahre ins Land gegangen, schon stellt sich bis in den Mainstream hinein heraus, dass meine ketzerischen Positionen von einst vielleicht doch nicht so ganz abwegig waren. Sie waren halt bloß (wie so oft) ihrer Zeit um zehn Jahre voraus.

Heute habe ich das Phänomen wieder beobachten dürfen, in Gestalt nämlich eines ausführlichen Artikels im Wochenend-„Album“ des Standard mit dem Titel „Das Ende der Geschichte?“. Worum geht es da?

Es geht um die seit einigen Jahren wieder verschärft geführte Debatte um die Restitution geraubter afrikanischer Kulturgüter. Konkret geht es um die berühmten „Benin-Bronzen“, die nach der Zerstörung des Königreichs Benin zu Ende des 19. Jahrhunderts durch die britischen Kolonialisten geplündert worden waren und die sich heute noch zu Tausenden als ethnografische Highlights in vielen europäischen Museen, auch im Weltmuseum in Wien, sowie auch in privaten Sammlerhänden befinden.

(An dieser Stelle sollte ich vielleicht noch auf das mögliche Missverständnis hinweisen, das oft aus der Namensgleichheit erwächst: Jene Bronzen stammen aus dem ehemaligen Königreich Benin, im heutigen Nigeria gelegen. Unser Projekt „Double Travel“ fand dagegen in der heutigen Republik Benin statt, im ehemaligen Königreich Dahomey, dem westlichen Nachbarn des heutigen Nigerias. Aber die Streitfrage ist in beiden Fällen, wie wir sehen werden, fast dieselbe.)

Begeben wir uns nun zurück zu unserer Reise 2012 in den Benin, bzw. in das E-Book vom Jahr darauf. Einer unserer damaligen Streits, der nachhaltigste wohl, wie sich heute im Standard wieder gezeigt hat, drehte sich um die historische Bewertung der Rolle der afrikanischen Königreiche. Wir hatten die ehemalige Residenzstadt der Könige von Dahomey besucht, Abomey, UNESCO-Weltkulturerbe, Museum und aber heute auch wieder Wohnstatt der Nachkommen des Königshauses, und mit dieser Vermischung der Funktionen der Gebäude hatte ich gewisse Probleme gehabt.

Abomey

Unser Besuch im Museum/Königspalast von Abomey liest sich in meinem E-Book von vor zehn Jahren (leicht gekürzt) so: -

In den Palästen von Ghezo, dem heutigen Geschichtsmuseum, sind alle elf Throne der bisherigen Herrscher bis hinauf zu Glele, der heute im Amt ist, in chronologischer Folge und mit Jahreszahlen versehen aufgestellt. Einer steht auf vier Totenschädeln. Auch sonst spart das Museum nicht mit blutigen Details, die den Charakter der Dynastie veranschaulichen, deren ökonomische Basis von Anfang an die kriegerische Unterwerfung der Nachbarvölker und ihre Versklavung war, und ab dem 18. bis spät ins 19. Jahrhundert hinein auch der Verkauf von Sklaven an die Europäer.

Die Insignien der blutbefleckten Herrschaft zu fotografieren verbietet mir der uns beigestellte Guide. Nichts solle dadurch verheimlicht werden, versichert er uns. Aber der öffentliche Palast des amtierenden Königs Glele befinde sich ebenfalls auf dem Museumsgelände, und zur Aufrechterhaltung der sakralen Würde bei dessen Zeremonien hätte sich ein Fotografierverbot wegen der oft sehr zahlreichen Touristen als unumgänglich erwiesen.

Als wir an der UNESCO Plakette vorbei wieder ins Freie treten, beklage ich mich trotzdem über die Zensur. Was haben wir da eben besucht?, frage ich mich. Ein Museum, Kulturerbe der Menschheit, mit Relikten aus einer glücklicherweise überwundenen Epoche? Oder den Palast eines geistlichen und weltlichen Führers, der auch weiterhin im Amt ist? Beides zusammen, würde ich meinen, verträgt sich ja schlecht.

„Noch einmal!“ Sidy knüpft [wieder] an unsere Diskussionen über die Rolle der Könige von Dahomey an. „Angesichts der militärischen Überlegenheit der Europäer hatten die Könige keine andere Wahl, als mit den Sklavenhändlern zu kooperieren. Wenn sie nicht so gehandelt hätten, wie sie gehandelt haben, kennten wir heute wahrscheinlich nicht einmal mehr ihre Namen! Manche haben trotzdem auch Widerstand geleistet. Der König Behanzin führte Krieg gegen die Franzosen. Lasst uns zu den ehemaligen Palästen des Königs Behanzin gehen!“

Abomey

Und etwas später, beim Denkmal für den Nationalhelden und letzten König von Dahomey Behanzin hatte es dann so richtig gescheppert: -

Wir stehen bei der überlebensgroßen Statue des Königs Behanzin. Eine Keule in der Rechten, tritt er mit abwehrend erhobener Linker den Franzosen entgegen und bedeutet ihnen: Stop! Bis hierher und nicht weiter! Die Statue macht auch auf mich großen Eindruck, und sie ist exzellent gearbeitet, aber wo ich eine Heldenverehrung wittere, muss ich nun einmal nörgeln: „Die Keule ist historisch nicht korrekt. In Wahrheit trat er den Franzosen keineswegs so archaisch bewaffnet entgegen. Seine Soldaten und Amazonen waren mit modernen Gewehren bewaffnet.“

„Die Keule ist auch nicht als militärische Ausrüstung zu verstehen“, stellt Sidy richtig. „Die mit Silber beschlagene Keule ist das traditionelle Insignium der königlichen Macht.“

„Die bei ihm jedoch wie bei allen seinen Vorgängern und Nachfolgern auf dem Sklavenhandel beruhte. Deshalb taugt er für mich auch nicht zum Helden.“

„Du kannst es bloß nicht ertragen, wenn ein Afrikaner es ablehnt, sich der europäischen Dominanz zu unterwerfen“, sagt Sidy. Er will sich seinen Helden von mir nicht madig machen lassen.

„Geh bitte! Ein Jahr vor dem Krieg gegen die Franzosen hatte Behanzin den Deutschen 370 Sklaven aus seinem reichhaltigen Bestand im Tausch gegen moderne Waffen überlassen. Fünf Jahre lang hatten sie auf Seiten der deutschen Kolonialtruppen in Kamerun gegen Aufständische kämpfen müssen. Ob diese unfreiwilligen Krieger deine Verehrung für Behanzin geteilt hätten? Sie hatten schließlich auch selbst rebelliert und kamen alle ums Leben. In sofern taugt dein Behanzin noch nicht einmal als Symbolfigur für einen frühen Antikolonialismus.“

„Wo steht das geschrieben? Das ist eine Lüge!“ Sidy ist ernsthaft sauer.

„Dieser Tausch deutscher Waffen gegen Zwangsrekrutierte ist eine historische Tatsache. [...] Für mich war Behanzin ein brutaler Despot und weiter nichts. Wie er schon da steht“, setze ich noch einen drauf. „Ich kann seine Gestik nur verstehen als ein engstirniges `Afrika den Afrikanern!´ Stell dir bloß eine analoge Statue in Wien vor: Ein österreichischer Politiker, in dieser Haltung in Stein verewigt, wie er den Fremdlingen entgegentritt: Halt, Stop, ihr Asylanten und sonstige Migranten! Bis hierher und nicht weiter! Europa den Europäern!“

Mit dieser Polemik hatte ich Sidy wahrscheinlich nachhaltig vergrault.

Abomey

Und mit meinen Standpunkten gegen die ehemaligen afrikanischen Despoten in der Folge auch noch so manchen beninischen Begleiter …

Seither ist nun einiges Wasser den Niger runter geflossen. In den letzten Jahren nahm vor allem auch die Restitutionsdebatte, sehr eindringlich anhand der prominenten Benin-Bronzen, immer mehr an Fahrt auf.

Als Bremser gegen Rückgaben tat sich dabei immer wieder das Berliner Humboldtforum hervor: Erst mit dem verworrenen Scheinargument, die Bronzen würden nicht nach Nigeria gehören, sondern sie gehörten der ganzen Welt. Dann legten diese Berliner Kolonialwarenhändler mit der Behauptung nach, in Afrika gäbe es gar keine Museen, die in der Lage wären, die Schätze sachgerecht aufzubewahren. Wobei ihnen schlicht entgangen sein muss, dass in den letzten Jahren in vielen Ländern Afrikas Museumsneubauten errichtet wurden, die konservierungs- und ausstellungstechnisch sehr wohl auf dem neuesten Stand sind.

Dann hatten die Europäer faule Kompromisse angeboten: An Rückgaben ganzer Museumsbestände könne man keinesfalls, vielleicht aber doch über einzelne besonders repräsentative Leihgaben nachdenken, temporäre, und sie würden dann großzügigerweise die Transport- und Versicherungskosten übernehmen?

Meine Position in dieser Debatte war immer völlig klar: Für eine Rückgabe des Raubguts, ohne Wenn und Aber.

Bis zum Beginn der Coronakrise hatte ich mich auch um eine Zusammenarbeit mit dem Weltmuseum Wien beworben, in Richtung auf eine dritte Reise, eine „Triple Travel“ in den Benin. Ich hatte mich auch über seine Bestände aus dem Gebiet der heutigen Republik Benin kundig gemacht. Meine Fotos aus der Ausstellung und aus dem Depot des Weltmuseums hätten dabei eine Rolle gespielt. Leider kamen wir bis jetzt nicht ins Geschäft.

Und heute nun im Standard - was finde ich da „Neues“ in der Restitutionsdebatte und hinsichtlich der Beniner Bronzen, zehn Jahre nach Erscheinen meines E-Books mit jenen heiklen Streitigkeiten?

Nachdem die ersten Beniner Bronzen von Europa nach Nigeria zurückgeschickt wurden, gibt der jüngste Spross des ehemaligen Königshauses von Benin bekannt, dass er sie nicht als nationales Kulturgut, sondern als sein privates Eigentum betrachten würde. Der Neubau des Museums, in dem sie hätten ausgestellt werden sollen, sei gestoppt worden. Er wisse noch nicht, was genau er mit den Schätzen anstellen werde. Er werde sie wohl in seinen Privatgemächern platzieren, könne also nicht versprechen, dass sie der nigerianischen Allgemeinheit irgendwann zugänglich gemacht werden.

Das scheint mir eine kaum verhohlene Umschreibung dafür zu sein, dass er die wertvollen Bronzen ebenso auch, falls er mal knapp bei Kasse sein sollte, auf dem Kunstmarkt feilbieten könnte. Es ist ein Treppenwitz, dass damit jetzt sogar das postkolonialistische Humboldtforum im Nachhinein die besseren Argumente in Sachen Pflege des Welterbes auf seiner Seite gehabt zu haben scheint.

Aber gegen die königliche Privatisierung der Beniner Bronzen regt sich zum Glück auch Widerstand. Und was da jetzt noch zutage kam, scheint mir jetzt, nach zehn Jahren, meine damals geäußerten herrschaftskritischen oder antidespotischen Haltungen zu bestätigen. In dem Standard-Artikel kommt zum Beispiel zu Wort -

… Deadria Farmer-Paellmann: eine in New York lebende, schwarze Juristin. Sie trat zum ersten Mal öffentlich in Erscheinung, als sie US-Unternehmen wegen deren Beteiligung an Sklaverei anzeigte. Mittlerweile ist sie Vorsitzende der sogenannten Restitution Study Group. Diese fordert, die Rückgabe der Benin-Bronzen zu stoppen – zumindest für jene ab dem 15. Jahrhundert. Denn von da an habe das Königshaus Benin Menschen, die sie nach Überfällen auf Nachbarstaaten versklavt hätten, nach Europa verkauft. Dafür habe es sogenannte Manillen erhalten, also Armreife aus Messing. Diese wiederum seien eingeschmolzen worden, um daraus die Benin-Bronzen herzustellen. So könnte die Opfergeschichte gleichzeitig auch eine Tätergeschichte sein: An den Bronzen klebt womöglich Blut.

Im Folgenden wird dann genauer untersucht, inwiefern „Blut klebt an den Bronzen“. Es gibt auch eine relativierende Gegenposition in dem Artikel. (Hier können Sie ihn als PDF in ganzer Länge lesen.) Eingewandt wird da zum Beispiel, dass es auch vor Ankunft der Europäer dort schon immer genug Messing gegeben hätte. Das Königshaus von Benin hätte Handelsbeziehungen über den ganzen Kontinent hinweg gepflegt. Aber das hieße ja auch bloß, dass die Verbindung zwischen den Bronzen und dem Sklavenhandel nicht die einer ganz direkten Warentauschbeziehung gewesen wäre. Aber auch wenn das Königshaus von Benin im Tausch für Sklaven zum Beispiel „nur“ Gewehre bekommen hätte, (wie dasjenige von Dahomey, im heutigen Benin,) und in den Bronzen „nur“ hinterher seine Macht manifestiert und seine Geschichte dokumentiert hätte, dann klebte ja trotzdem, wenn auch indirekt, an den Bronzen weiterhin Blut.

Weiter in dem Artikel. Phillip Ihenacho hat die Pläne für ein öffentliches Museum mit den Bronzen noch nicht aufgegeben: -

Der 57-Jährige ist Geschäftsführer des EMOWAA Trust, der Stiftung hinter dem geplanten Museum. [...] Wenn Ihenacho von seinen Museumsplänen erzählt, dann klingt er ähnlich leidenschaftlich wie Patrick Oronsaye, der Prinz – nur dass er sich eben lieber die Zukunft hübsch ausmalt als die Vergangenheit. Das EMOWAA soll mehr sein als ein Museum: In einem Pavillon werden zukünftig Kunstwerke gelagert und wissenschaftlich untersucht, ein Kreativquartier lädt Künstler aus der ganzen Welt und ein künstlich angelegter Dschungel bietet Entspannung vom hektischen Stadtleben. Die Idee des EMOWAA: Kunst vom Senegal bis Namibia auszustellen. Das Highlight wären die Benin-Bronzen gewesen. [...] Kurz: Ihenacho sieht Potenzial. Die Benin-Bronzen sind für ihn der Katalysator, um dieses Potenzial endlich zu nutzen: Sie sollen Touristen in die Stadt holen, Jobs schaffen, so wie die baskische Stadt Bilbao mit dem Bau des Guggenheim-Museums zur internationalen Destination wurde. Ihenacho sagt, für den Westen ende die Geschichte mit der Rückgabe der Bronzen. Dann könnten die Verantwortlichen sagen: „Schaut her, was für gütige Menschen wir sind“ – und sparten nebenbei noch Lagerungskosten. „Für uns aber, für uns beginnt die Geschichte erst jetzt.“

Auch beim Resumee und im Schlussabsatz des Standard-Artikels von Benedikt Herber kommt Ihenacho noch einmal zu Wort: -

Für Ihenacho ist klar, wohin diese Diskussion auch führen muss: „Nicht nur in Benin, in ganz Westafrika ist nun der Zeitpunkt gekommen, sich einzugestehen: „Ja, wir haben am Sklavenhandel mitgewirkt‘“, sagt er. Nur so könne es eine Heilung geben zwischen den Afrikanern hier und jenen in der Diaspora, den Nachfahren der Sklaven. Die Benin-Bronzen haben das Potenzial, den Blick auf die eigene Vergangenheit zu schärfen – und damit auf die eigene Identität. Es kehrt kein totes Kulturgut nach Nigeria zurück, sondern ein Konglomerat sehr aktueller Fragen. So wird nicht nur materielle Gerechtigkeit hergestellt, man gibt den Menschen auch eine Chance, sich zum eigenen Erbe zu verhalten, darauf aufzubauen. Sicherlich ist damit das Risiko verbunden zu scheitern. Doch lohnt es sich wohl, dieses Risiko einzugehen.

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