05. Dezember 2014

Aus der beliebten Reihe
„Selbstreferenzielles und Rechthaberei“

heute:

Vor zehn Jahren war ich als
„Philosoph auf Reisen“ …

Zehn Jahre ist das jetzt her, da war ich als „Philosoph auf Reisen“. In Ungarn hatte ich damals den Beitritt zur EU miterlebt. Das im folgenden noch einmal wiedergegebene Kapitel zeigt, wie da der Reisephilosoph inmitten der allgemeinen Beitrittseuphorie auch schon eine deutliche Ahnung bekam, welch unangenehme Entwicklungen Ungarn noch nehmen würde. Im Vorfeld des historischen Ereignisses besuchte er nämlich –


Eine kulturelle Veranstaltung

Der Event, […] der leider auch mein ganzes Bild von Budapest und Ungarn nachhaltig prägen sollte, war […] der folgende: eine große Anzahl der berühmtesten Künstlerinnen und Künstler Ungarns traten am Vorabend jenes historischen 1. Mai 2004, zu dem es nur noch wenige Tage hin war, und an welchem Ungarn der Europäischen Union beitreten würde, im „Haus der Großungarischen Gesellschaft“ zu einem Gemeinschaftskonzert an, um der spezifisch großungarischen Größe mit all ihren Eigentümlichkeiten noch einmal zu einem denkwürdigen Ausdruck zu verhelfen.

Eine illustre Gesellschaft war da versammelt, fürwahr! Ein bunt gemischtes – nun ja: – Völkchen hatte sich da versammelt: in maßgeschneiderten wie auch in schmuddeligen Second-Hand-Anzügen, in Designerkostümen wie in Bomberjacken, wie in Uniformen der verschiedenen Waffengattungen sowie aus sämtlichen Zeitaltern der ruhmreichen ungarischen Geschichte. Dazwischen standen Zivilisten in lächerlich unpraktisch anmutenden, ich vermute mal: altungarischen Trachten herum.

In der Eingangshalle waren zahlreiche Büchertische mit Infomaterial aufgebaut, alles in – logisch! – ungarischer Sprache gehalten, aber rein schon so derbes Zeug, dass sein Inhalt auch ohne Kenntnis des Ungarischen, sozusagen metanational, auf den ersten Blick zu erfassen war. Großungarische Landkarten gab es da zu erstehen, auf denen Ungarn bis ans Schwarze Meer reichte und manchmal darüber hinaus, die „Protokolle der Weisen von Zion“ lagen herum, einen Wandkalender gab’s mit Gruppenfotos von entschlossen aus der Tarnwäsche dreinschauenden Mitgliedern paramilitärischer Verbände, und und und …

Das Pack sah mir auf den ersten Blick an, dass ich nicht dazu gehörte. Das Pack wollte eigentlich lieber unter sich sein. Das Pack veranstaltete zwar gerade eine öffentliche Demonstration, bei der auch das Fernsehen zugegen war, aber wenn dabei einer wie ich die Gelegenheit wahrnahm, an seinen Büchertischen herumzuschnüffeln, war es ihm auch wieder nicht recht. Das Pack wirkte, als hätte es selbst bei seinem öffentlichen Treiben etwas zu verbergen. Oder auch, als hätte es ein schlechtes Gewissen.

Eine alte Vettel, gewandet ganz in Grün-Weiß-Rot – nicht sehr geschmackvoll, aber man kann sich eben seine Nationalfarben nicht aussuchen – machte sich gleich an mich heran, um mich auszufragen, wo ich herstammen würde. Attila übersetzte es mir. Ich antwortete auf Englisch, sie freundlich anlächelnd, dass ich ein sogenannter Kosmopolit wäre und überall zu Hause sei. Mit starrem Blick glotzte sie mich da an, und dann übersetzte sie es einer daneben Stehenden ins Ungarische, in einem Tonfall, geifernd zwischen Hohn und Hass, so dass ich dann auch gleich noch heraushören konnte, was im Ungarischen das Wort für „Jude“ ist.

Eine illustre Gesellschaft war das, fürwahr!



Rosetta und Tschuri

An ein anderes, weit angenehmeres Erlebnis des Reisephilosophen musste ich kürzlich wieder zurückdenken, als die Sonde Rosetta beim Kometen „Tschuri“ ankam und ihren Lander Philae auf ihm absetzte. Bekanntlich soll die Mission unter anderem ergründen, ob die Bausteine des Lebens möglicherweise durch einen Kometeneinschlag auf die Erde gelangt sind. In einem Kapitel über das beste Museum, das er je besucht hatte in seinem Leben, über das Geologiemuseum in Bukarest, hatte der Reisephilosoph die Frage auch mit dem Museumspersonal diskutiert, damals, just vor zehn Jahren, im gleichen Jahr 2004, in dem Rosetta von der Erde losgeschickt worden war auf die lange Reise.

Auf der Homepage von Halbs Mini-Museum kann man sich unter dem Stichpunkt „Referenzmuseum - So muss ein Museum sein!“ das ganze Kapitel vom Autor vorlesen lassen. Einen Auszug, nur mit den erwähnten Diskussionen mit den Museumsleuten, habe ich jetzt hier noch einmal als Audiodatei extrahiert. (MP3, 35 MB, 3 min. 25 sec.)

Wenn man sich die Passage mit der Kometen-Diskussion heute noch einmal anhört, mutet es seltsam an, dass der wissenschaftlich versierte Radu nicht darauf hingewiesen haben soll, dass genau in jenem Jahr eine Raumsonde losgeschickt worden war, um der Frage des extraterrestrischen Ursprungs des Lebens auf den Grund zu gehen. Aber vielleicht hatte er in Wirklichkeit sogar darauf hingewiesen, und die Begriffe „Rosetta“ oder „Philae“ sagten mir nur damals (in dem englisch geführten Gespräch) noch nichts und fielen deshalb bei meinen kurze Zeit später angefertigten Gesprächsnotizen unter den Tisch.

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