Die Gladiatoren


Die Kinder singen um ihr Leben. Es wird ihnen nichts nützen. Die Daumen im Publikum zeigen einhellig nach unten. Zum Abschluss des Vorprogramms werden die weinenden Kinder einer Horde von Brüllaffen in McDonald's-Leibchen vorgeworfen und von ihnen in Stücke gerissen. Das Publikum ist begeistert. Das ist doch mal ein gelungener Auftakt.

Untermalt von Wagner-Musik folgt der Einzug der Gladiatoren. Sie wissen, was ihnen bevorsteht. Das Bekreuzigen scheint kein Ende zu nehmen.

Unter dem tosenden Beifall des Publikums stellt der Stadionsprecher die Akteure vor. Der flinke Thraex Neymar auf der brasilianischen Seite, der schmächtige Secutor Chamess (nicht gesprochen „Tschääms“!) Rodriguez auf der kolumbianischen sind die Lieblinge des Publikums. Beim Einmarsch des muskelbepackten Hulk geht ein Raunen durch die Menge. Die letzten vier Treffen der beiden Teams endeten ohne einen Sieger. Für Hochspannung ist also gesorgt. Es ist angerichtet. Die Spiele können beginnen.


Neymar

Als Thraex ist der Publikumsliebling Neymar nur mit
kurzem Krummschwert, Helm, Armschutz und Kruzifix bewaffnet. (Ausriss aus dem Red Bulletin)

7. Minute: Von der Eckfahne schlägt der listige Neymar das Spielgerät vors Tor. Das Kurzschwert Silvas setzt den schnellen Todesstoß. Brasilien führt mit 1:0.

11. Minute: Der Brasilianer Cuadrado (Kategorie Dimachaerus, also: zwei Klingen, gepolsterter Leibschutz) attackiert den kolumbianischen Murmillo (also Kurzschwert Gladius, gewölbter Rechteckschild Scutum) beidhändig mit Lang- und Kurzschwert, aber am Scutum gleitet der Angriff zum Eckball ab.

20. Minute: Der mächtige Hulk haut aus kurzer Distanz mit dem Gladius auf den vor ihm auf dem Boden liegenden Goalie Ospina los, kommt aber nicht zum Torerfolg.

35. Minute: Ein Fanfarenstoß kündigt den Einsatz eines Retiarius an. Fernandinho ist sein Name. Mit Dreizack und Wurfnetz soll er dem kolumbianischen Chamess den Garaus machen. Als Secutor darf dieser sich den Angriffen nur mit Gladius, Scutum und einem kleinen eiförmigen Helm erwehren. Kolumbien auf der anderen Seite bringt den Hoplomachus Camilo Zúniga. Als Hoplomachus kann er mit dem Wurfspieß auch aus der Distanz Jagd auf den flinken Neymar machen. Die Aufrüstung kommt zur rechten Zeit. Die Spiele drohten schon langweilig zu werden.

Halbzeit: Während sich die Zuschauer mit Bier, Oliven und Opium versorgen, verkündet der Stadionsprecher mit sonorer Stimme die Zwischenbilanz. Zwanzig Tritten, Blutgrätschen, im Luftkampf ausgefahrenen Ellbogen etc. von brasilianischer Seite stehen bisher nur vierzehn von kolumbianischer Seite gegenüber. Mit einer Brutalität alle ca. 80 Sekunden kam das Publikum schon gut auf seine Kosten. In Todesstößen steht es noch 1:0 für Brasilien.

50. Minute: Fernandinho nutzt eine gladiatorische Standardsituation und treibt Chamess Rodriguez routiniert in die Enge. Der Retiarius täuscht einen Netzwurf an, Chamess weicht aus und gerät ins Straucheln. Das Netz fliegt und begräbt den schmächtigen Secutor unter sich. Der kolumbianische Hühne stößt mit dem Dreizack zu. Wie durch ein Wunder kann Chamess ausweichen und sich aus dem Netz herauswinden und den wütenden Attacken noch einmal entkommen.

65. Minute: Wütende Buhs und schallendes Hohngelächter im Publikum. Für eine relativ belanglose Unsportlichkeit gegen den Torwart beim Abschlag hat der Clown von Schiedsrichter tatsächlich in dem Spiel eine gelbe Karte gezückt! Bis zum Ende des Blutrauschs wird er sich noch drei weitere Male auf diese lächerliche Weise wichtig zu machen versuchen. Weiß denn der Mann nicht, was die Stunde geschlagen hat? Mit nur sieben Feldverweisen im ganzen bisherigen Turnier, trotz gröbster Grobheiten, konnte das pazifistische Fairnessgetue endlich erfolgreich in die Schranken gewiesen werden. Der Männersport Fußball ist ja schließlich kein Mädelsgesangverein!

69. Minute: Nach einem Freistoß, einem Gewaltschuss aus 30 Metern von David Luiz hängt der Kopf des Gegners, aus der Verankerung gerissen, nur noch an ein paar Hautfetzen am Körper. Brasilien führt mit 2:0.

75. Minute: Dem kolumbianischen Hoplomachus wird es zu bunt. Immer wieder konnte der flinke Thraex den Wurfspeer mit seinem Armschutz abwehren und allen Attacken gekonnt ausweichen. Entnervt wirft Camilo Zúniga die Waffen weg und mit blanken Fäusten stürmt er auf Neymar ein. Irgendwie bekommt er ihn tatsächlich zu fassen, und mit einem mächtigen Kniestoß bricht er ihm das Kreuz und macht so kurzen Prozess. Unter dem Jubel aller Freunde des Gladiatorensports, begleitet vom leisen, aber durchdringenden Wimmern von Neymars zahlreichen weiblichen Fans im Publikum wird sein zerschmetterter Körper auf eine Trage gehoben und vom Spielfeld entfernt.

80. Minute: Der Sichelkämpfer Júlio César säbelt den Kolumbianer Bacca im Strafraum um. Der Kolumbianer Chamess, den die Brasilianer trotz aller Versuche nicht lähmen oder sonstwie unschädlich machen konnten, verwandelt den anschließenden Strafstoß mit einem präzisen Dolchstich genau in die rechte Herzkammer zum 1:2 und setzt sich mit seinem sechsten Treffer an die Spitze der Totschützenliste bei der WM. Aber am Sieg für Brasilien kann das nichts mehr ändern.

Als Zugabe werden dann noch die Brüllaffen in den McDonald's-Leiberln, diesmal gefesselt, wieder aufs Feld geführt, und von den wenigen unverletzt gebliebenen Spielern langsam und genussvoll zu Tode gefoltert. Rache muss schließlich sein für die zerfleischten Kinder. Viele Zuschauer haben genug gesehen und wenden sich bereits zum Gehen. Morgen müssen viele wieder arbeiten. Für die Arbeitenden wie für die Arbeitssuchenden, für die Armen wie für die Wohlhabenden unter ihnen wird es ein unvergesslicher Fußballabend bleiben.


Neymar

Der Publikumsliebling Neymar
brach sich bei den Spielen heute das Kreuz.
(Aus dem Red Bulletin; bearbeitet)



Neymar

Die Neymar-Sammelkarte, aktualisiert
mit zwei Zündhölzern und Kerzenwachs.

Ich bin ja auch weiterhin skeptisch, was eine mögliche Wunderheilung Neymars vor dem morgigen Spiel gegen die Deutschen angeht. Aber jedenfalls habe ich, auf der spirituell-symbolischen Ebene und soweit ich es vermag, alles versucht.

Dann aber meldet sich der Jungstar selbst zu Wort. In einer Internetbotschaft wendet er sich an seine Mannschaft und an seine Fans, stellt klar, dass er bei dieser WM nicht mehr wird spielen können, und zeigt sich aber fest überzeugt, dass das brasilianische Team auch ohne ihn die Weltmeisterschaft gewinnen wird.


Neymar meldet sich zu Wort und stellt klar, dass er bei der WM nicht mehr wird spielen können.


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