05. Jänner 2007

Vor zehn Jahren, im Jänner 1997, erschien der Literarische Zeitvertreib Nr. 2. Darin befand sich unter anderem auch unser also nun nicht mehr ganz taufrischer

Text der Woche

Zwei der Hauptthemen, denen sich das kleine und auflagenschwache Ein-Mann-Kampfblatt auch in der Folge immer wieder annehmen sollte, werden in dem Text verhandelt: Zum Einen hat sich der Literarische Zeitvertreib immer wieder mit kritischen Anmerkungen für einen starken „Standort Nürnberg“ in der Konkurrenz der Regionen stark gemacht. Zum Zweiten geschah dieses oft auch in Form einer Kritik an der maßgeblichen Zeitung in jener Region, an den Nürnberger Nachrichten.

Neu in Nürnberg

Wegen des Bratwurst- und Lebkuchenimages Nürnbergs, seines Christkindlesmarkts, des Niedergangs der ansässigen Schwerindustrie mit der Folge hoher Erwerbslosigkeit und der das Stadtbild prägenden Polizeikontrollen ist Nürnberg zur Zeit für Auswärtige, die den Wohnort wechseln wollen oder müssen, wenig anziehend. Die Luftqualität ist schlecht, die Einheimischen sind abweisend, das Nachtleben verebbt, wenn es dunkel wird und die Innenstadt verödet, seit sie unter Hitler auf Mittelalter getrimmt und nach Kriegsende ebenso originalgetreu wieder aufgebaut wurde. Immerhin ist es wenigstens von einem großzügig angelegten Autobahnnetz umgeben, so daß es bequem weiträumig umfahren werden kann. Diese gute Seite Nürnbergs wird durchaus gewürdigt und in Anspruch genommen, kann aber die vielen Nachteile nicht wettmachen, zu denen auch die in der Stadt traditionell regierende SPD gezählt werden muß, die zu allem Überfluß seit dem vergangenen März auch noch die Rolle einer maßgeblichen Oppositionspartei im Stadtrat spielt.

Zusammenfassend muß, da Nürnberg von Auswärtigen in der Regel gemieden, von den Einheimischen bei sich bietender Gelegenheit verlassen und von den Behörden seiner letzten interessanten und symphatischen Menschen beraubt wird, ein Trend negativen Bevölkerungswachstums konstatiert werden, wie der Statistiker sagt.

Dies hat auch zur Folge, daß die Nürnberger Nachrichten als auflagenstärkstes Blatt der Region früher oder später mangels Nürnbergern und Nürnbergerinnen eingehen werden, wenn es ihnen nicht gelingt, ihre Meinungsführerschaft in die Waagschale zu werfen, um den Teufelskreis aus Abwanderung und Verödung des öffentlichen Lebens, die weitere Abwanderung nach sich zieht, zu durchbrechen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung könnte die Rubrik „Neu in Nürnberg“ gewesen sein, in der die Redakteurin Elisabeth Jändl die vier Menschen, die sich als Ausnahmen von der Regel in jüngerer Zeit in Nürnberg ansiedelten, mit Einzelportraits in der Zeitung belohnte. Jändls Verdienst ist darin zu sehen, daß sie in differenzierter Darstellung des individuellen Charakters der Vier bemerkenswert übereinstimmende Aspekte nicht verschweigt, die offenbar entgegen des allgemeinen Trends zum Zuzug nach Nürnberg prädestinieren: – – –

Melanie Wiegmann zum Beispiel ist Schauspielerin und 24 Jahre alt. Manchmal gibt es nach den anstrengenden Probetagen (…) nur noch eins: Ab in die Küche und „irgend etwas Tolles kochen“ einfach zur Entspannung. Zu ihrem Engagement: „Ich bin einfach wahnsinnig froh, daß das so toll geklappt hat“, freut sie sich und lacht: „Mir ist vielleicht einfach der Anfangs-Idealismus noch nicht abhanden gekommen“. Zwar hat sie von der Stadt (…) zu ihrem eigenen Bedauern noch nicht viel gesehen. (…) Und auch neue Leute außerhalb des Theaters kennenzulernen, sei „einfach schwierig“, wegen der ungewöhnlichen Arbeitszeiten. Aber das gehöre zu diesem, ihrem Traumberuf, einfach dazu. –

Gero Nievelstein ist 27 Jahre alt und Schauspieler. „Etwas besseres wüßte ich einfach nicht“, antwortet Gero Nievelstein ganz schlicht und einfach auf die Frage, warum er Schauspieler geworden ist. „Es ist einfach toll.“ (…) Dafür, die Stadt zu erkunden, hatte der gebürtige Rheinländer noch gar keine Zeit. (…) In der spärlichen Freizeit spielt er Basketball und Gitarre. Und er geht sehr gern essen. –

Kerstin Schweers hat es noch gar nicht geschafft, sich Nürnberg richtig anzusehen. Sie ist 31 Jahre alt und schwankte lange zwischen Malerei und Schauspiel. So habe sie sich einfach gedacht: „Das, was als erstes klappt, das machst du dann auch.“ So wurde sie Schauspielerin. Sie ist leidenschaftliche Köchin, hält sich mit Schwimmen fit und ist immer auf der Suche nach neuen guten Restaurants. –

Thomas Nunner schließlich ist 29 Jahre alt und seit dieser Saison fest als Schauspieler in Nürnberg engagiert. Seine Lieblingsstücke sind eindeutig die Klassiker: (…) „Ich habe einfach eine Vorliebe für das Alte.“ (…) Lesen ist natürlich sein Hobby. Ansonsten kocht er gerne, schreibt Briefe – und telefoniert leidenschaftlich gern. (…) Viel Zeit, die Stadt kennenzulernen, hatte er noch nicht. „Mit den Proben ist das einfach schwierig.“ – – –

Um zu verhindern, daß Nürnberg ausstirbt, sollte das Stadtplanungsamt schleunigst eine Arbeitsgruppe ins Leben rufen, die gezielt bundesweit Zuzüglerinnen und Zuzügler wirbt. Am erfolgversprechendsten dürften die Bemühungen sein, wenn sie sich auf zwischen 20 und 35 Jahre alte Schauspielerinnen und Schauspieler konzentrieren, die wegen der langen Arbeitszeiten kaum dazu kommen, sich ihren Wohnort anzusehen und von seiner Tristesse angesteckt zu werden, zumal wenn sie ihre spärliche Freizeit mit Kochen und Essen verbringen.

Die Kernzielgruppe der zu Werbenden wird durch diejenigen Personen der Zielgruppe gebildet, die das Wörtchen „einfach“ und die Wortkombination „einfach schwierig“ außergewöhnlich häufig verwenden, d.h. ähnlich oft wie Elisabeth Jändl in ihren Artikeln.

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