Die Nürnberger Hefte, revisited

28. September 2018


Was der Reichsinnenminister Frick zur Aussendung aus Kickls Haus meint


Es ist bald schon 20 Jahre her, da war in Deutschland darüber debattiert worden, ob es zivilisiert werden, bzw. ob es das bleiben sollte. (Das hing vom Standpunkt ab.) In meinem Literarischen Zeitvertreib Nr. 2 vom Jänner 1997 hatte ich die Kontroverse dargestellt.

Der Deutsche Presserat war 40 Jahre alt geworden, und mein damaliges Leib- und Magenschmerzenblatt, die Nürnberger Nachrichten, hatten dies zum Anlass genommen, sein segensreiches Wirken darzustellen. „Niemand weiß“, hatte es da geheißen, „wie sich das Niveau der Berichterstattung ohne die moralische Instanz in vier Jahrzehnten entwickelt hätte.“ Und am Ende des Artikels: „Keine Milde finden auch Berichte, in denen ohne besonderen Grund die Zugehörigkeit eines Täters zu einer ethnischen Gruppe hervorgehoben wird.“

Genau dies zu tun, nämlich die Nationalität und ethnische Zugehörigkeit von Straftätern grundsätzlich bekannt zu geben, also auch ohne „besonderen Grund“, das heißt, auch wenn es zum Verständnis der Umstände nichts beiträgt, wurde kürzlich in einer Aussendung aus dem FPÖ-geführten Innenministerium an die österreichischen Polizeipressestellen … nein, nicht verbindlich vorgeschrieben, wie nach dem Bekanntwerden nachgeschoben wurde, sondern nur so ganz „unverbindlich angeregt“.

Zurück zu meinem Artikel von 1997. Jener Geburtstagsglückwunsch der Nürnberger Nachrichten hatte mich zu einer meiner Studien angeregt. Ich hatte die Kriminalberichterstattung der Nürnberger Nachrichten in den Monaten Oktober und November 1996 untersucht, und dabei 68 Berichte und Meldungen gefunden, in denen die Zugehörigkeit von Tätern und Täterinnen, von dessen Verdächtigten und auch von Opfern und Zeugen von Straftaten zu Minderheiten erwähnt worden war.

Und ich hatte die Meldungen analysiert. Trug die Nennung der Nationalität des Straftäters irgend etwas zum Verständnis des Kontextes bei? Oftmals schon, zum Beispiel bei den sogenannten „Ehrenverbrechen“. Oftmals auch nicht. Oft war damit „nur“ eine ganze Bevölkerungsgruppe mit bestimmten Verbrechen in Verbindung gesetzt worden, ohne jeden weiteren erkennbaren Sinn.

Im Einzelfall war es oft schwer gewesen, abzuwägen zwischen dem nützlichen Informationszuwachs durch solch eine Nationalitätennennung und ihrer schädlichen, die ganze betreffende Gruppe stigmatisierenden Haupt- oder Nebenwirkung. Wenn da im Zuge einer offenen Fahndung ein „südländisches Aussehen“ oder ein „osteuropäischer Akzent“ erwähnt wurde, mochte das aus Polizeisicht hilfreich gewesen sein. Aber wie war es, in derselben Logik bleibend, zu beurteilen, wenn der Verdächtige schon gefasst worden war?

Manche dieser Fälle beurteile ich heute anders als damals. (Es wäre auch verwunderlich, wenn das nicht so wäre.) Jedenfalls hatte ich damals bei etwa der Hälfte jener Meldungen wenig bis keinen Informationsgehalt finden können, der die potentiell volksverhetzende Wirkung hätte rechtfertigen können. Und es waren ein paar Ausreißer dabei, krasse Fälle, die ganz unzweifelhaft hätten gerügt werden müssen, wenn solches denn tatsächlich beim Presserat „keine Milde“ gefunden hätte damals, wie es in der Geburtstagslaudatio der Nürnberger Nachrichten geheißen hatte. Wenn es sich etwa um reine Spekulationen gehandelt hatte. (Wie bei den Mitgliedern eines „asiatischen Zigarettenschmugglerrings“, die sich letztlich als Deutsche und Belgier erwiesen hatten.) Erst recht, wenn da Verbrechensopfern Mafiahintergründe oder Gangsterrivalitäten unterstellt worden waren. (Und in einem Fall hatte das von der Polizei sogar hochoffiziell zurückgenommen werden müssen.)

Was war da los? Die Nürnberger Nachrichten schrieben dem Deutschen Presserat unkritische Geburtstagsglückwünsche und er rüffelte sie dafür nicht? So hatte mein polemisch zugespitztes Zwischenfazit gelautet.

Und ich hatte versucht, der Sache weiter auf den Grund zu gehen, und bei meinen Recherchen war ich auf eine schon länger andauernde Auseinandersetzung zwischen dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und dem Deutschen Presserat gestoßen. Romani Rose hatte sie im Buch „Medien mögen's weiß - Rassismus im Nachrichtengeschäft“ (herausgegeben von Ralf Koch, dtv, 1996) dargelegt. Er hatte dazu geschrieben: -

Bezüglich dieser Pressepraxis gegenüber ethnischen, religiösen und anderen Minderheiten gibt es in Deutschland eine besondere Erfahrung, die wir nicht vergessen dürfen. Am 7. Dezember 1935 ordnete Hitlers Reichsinnenminister Wilhelm Frick gegenüber den Behörden an, „bei Mitteilungen an die Presse in allen Fällen, in denen strafbare Handlungen von Juden begangen wurden, dies auch besonders zum Ausdruck zu bringen.“

Die Nationalsozialisten wußten ganz genau, welche vorurteilsbestärkenden Effekte beim Leser Schlagzeilen und Zeitungsartikel bewirken konnten, in denen „berichtet“ wurde: „Internationaler Jüdischer Gauner gesucht“ oder „Jüdische Altwarengeschäfte als Hehlerzentralen der Diebes- und Einbrecherbanden enttarnt“.

Mit dieser öffentlichen Propaganda begann für die Juden genau so systematisch wie für die Sinti und Roma die gesellschaftliche Ausgrenzung, an deren Ende der Holocaust stand. Deshalb kann und muß heute von den Medien des demokratischen Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland auf Grundlage der Verfassung eine besondere Verantwortung verlangt werden.

Im Unterschied zum Nationalsozialismus ist es ein Grundprinzip unseres Rechtsstaats, daß ein eventuelles Fehlverhalten eines Menschen nicht mit seiner eventuellen Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Minderheit oder mit seiner Hautfarbe in Verbindung gebracht werden darf. Dieses grundlegende Rechtsprinzip wird jedoch von nahezu allen deutschen Medien seit 1945 gegenüber Sinti und Roma immer wieder mißachtet. In einem demokratischen Rechtsstaat hat Fehlverhalten jeder einzelne Bürger für sich allein zu verantworten. Der Hinweis ohne zwingenden Sachbezug auf die Minderheiten-Zugehörigkeit oder die Hautfarbe eines Beschuldigten bei der Berichterstattung über den Hergang von eventuell strafbarem Verhalten ist ein Mißbrauch der Pressefreiheit. Ein Mißbrauch, der in keiner Weise durch das Grundgesetz geschützt ist. Er dient nicht der sogenannten „freien Information“ über angebliche „objektive Tatsachen“, sondern ausschließlich der diskriminierenden Stimmungsmache gegen Minderheiten. Eine Stimmungsmache, die verfassungsfeindlichen Organisationen nützt und der Demokratie schadet. Der für das Verständnis des berichteten Vorgangs nicht erforderliche Hinweis auf die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit eines Beschuldigten oder auf dessen Hautfarbe wirkt objektiv volksverhetzend, vorurteilsschürend und als Aufstachelung zum Rassenhaß.

Nachdem der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma mit seinen Beschwerden über diese Pressepraxis bei verschiedenen Medien nichts erreicht hatte, hätte er zu der Frage auch, heißt es in Romani Roses Text weiter, ein verfassungsrechtliches Gutachten beim Verfassungrichter i. R. Helmut Simon in Auftrag gegeben. Darin heißt es unter anderem: -

Schon der formal wahrheitsgemäße Hinweis auf die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit [kann] bei einer Beschuldigung als Ausgrenzung und als Mittel zur Diskriminierung ausreichen. Er suggeriert den Eindruck, das Fehlverhalten des einzelnen Beschuldigten sei auch bei anderen Angehörigen der Minderheit zu befürchten. Weshalb wird er sonst gebracht? Der Verfasser eines Berichts muß ja irgendeinen Grund für diese Mitteilung haben. [...] Es ist ein ähnlicher Vorgang wie im „Dritten Reich“, als durch sogenannte „Tatsachenberichte“, daß ein Beschuldigter auch noch Jude sei, ein negatives Stimmungsbild erzeugt wurde. [...] Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz verpflichtet den Staat, durch weitergehende Schutzvorkehrungen Diskriminierungen entgegenzuwirken. Kraft dieser Schutzpflicht ist der Gesetzgeber auch berechtigt, Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit anzuordnen.

Mit diesem Gutachten hätte sich der Zentralrat auch wiederholt an den Presserat gewandt, heißt es abschließend in Roses Text. Und er sei damit, um mit dieser Rückschau in die Jahre 1996/97 zum Ende zu kommen, weitgehend auf taube Ohren gestoßen. Die alltägliche Praxis in den deutschen populistischen Medien zeigt es bis heute: Der Deutsche Presserat rüffelt nur in besonders krassen Einzelfällen. Und man kann gewiss davon ausgehen, dass diese während all der Jahre alltäglich variierte Stimmungsmache gegen Minderheiten auch sicher nicht ohne Wirkung geblieben ist.

Und wie geht es nun in Österreich weiter? Kickls Versicherung, bei der Aussendung an die Polizeipressestellen handele es sich nicht um eine verbindliche Weisung, sondern nur um eine unverbindliche Anregung, nur um einen kleinen Denkanstoß sozusagen, macht es um keinen Deut besser. Alleine schon, weil er bei den Adressaten ernst-, an- und aufgenommen werden wird.

Salzburgs Polizeisprecher Michael Rausch hat es in einem Standard-Interview gestern bestätigt. Und angemerkt, dass die Nennung des Asylstatus oder der Nationalität von Straftätern bei ihnen aber eh schon lange Usus ist. Sie würden damit schlicht und einfach umfassend verlautbaren, und was die Presse mit diesen Informationen dann anstellen würde, falle nicht mehr in seine Verantwortung.

Sie macht damit Stimmung, jeden Tag, die österreichische Schmutzpresse. Sie spaltet die Gesellschaft. Sie liefert dem Rassisten Argumente. Wenn man zu Empathie fähig ist, dann spürt man das. Der Polizeisprecher Michael Rausch macht es sich zu leicht.

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