Hier folgt nun

Die ganze lange, wahre,
traurige Geschicht,
von ihm selbst erzählt,
wie auch Halbs neues Buch
von den Verlagen
wieder nicht genommen ward

Dunkel und eng ist’s in dem Postsack, aber etwas Morgenlicht dringt jetzt wieder durch den dicken leinernen Stoff, als wir aus dem Kastenwagen gehieft werden. Ein Ächzen ist zu hören, ein Stöhnen, dann werden wir grob auf dem Gehsteig abgesetzt. Dabei verrutscht unsere Position zueinander, und das Buchdeckeleck eines dicken Manuskriptkollegen bohrt sich mir schmerzhaft in den Rücken. Ich stelle mir vor, dass der Postbote eher schmächtig sein wird und wie er sich die Ärmel hochkrempelt, als wir bereits wieder hochgenommen werden. Am Hauseingang ecken wir am Türpfosten an, dann ist das schwere Atmen unseres Trägers zu hören, dann ein leises Fluchen, als wir die Treppe hoch ins Hochparterre gewuchtet werden. Wieder werden wir abgesetzt. Eine Tür wird geöffnet, ein atemloses „Pffft … Guten Morgen …“ wird von einer freundlichen weiblichen Stimme erwidert: „Guten Morgen!“ Dann werden wir über die Schwelle hinweg und ein paar Meter über den Boden geschleift. „Warten Sie, ich helfe Ihnen“, sagt die weibliche Stimme. Das Klacken von hohen Absätzen ist zu hören, wie es sich um die Barriere herumbewegt, und nach einem „Und jetzt gemeinsam“ unseres Trägers und einem „Eins … zwei … drei!“ landen wir in hohem Bogen auf dem Empfangsschalter in der Lobby am Eingang zu dem Verlag.

Der Sack wird jetzt aufgeschnürt und das Neonlicht in den Räumen blendet mich, als er heruntergestreift wird. Die Empfangsdame nimmt immer so etwa zehn von uns zu einem Haufen zusammen und nach und nach trägt sie uns weg. Als die Reihe auch an mich kommt, habe ich mich an die Helligkeit bereits gewöhnt. Altersmilde und jung verschmitzt schauen die Hausautoren von Bildern an den Wänden dabei zu, wie wir durch die Flure in die Räume des Lektorats getragen werden.

Schnell und routiniert wird dort meine Verpackung geöffnet und flüchtig werde ich überprüft. Ein kurzer Blick noch auf mein beigelegtes Begleitschreiben, dann lande ich mit den andern heute eingetroffenen Manuskriptkollegen in einem der zahlreichen Stapel, wie sie hier nun reihum und immer schön der Reihe nach während der nächsten Monate vom Lektoratspersonal begutachtet und abgearbeitet werden müssen.

„In den kleinen Verlagen kommen jeden Tag so um die zehn Manuskripte an. Oder lass es einhundert in der Woche sein. In den großen, wie bei uns, können es auch täglich bis zu einhundert sein. Ein entsprechendes Quantum müssen wir dann also auch im Schnitt jeden Tag in Augenschein nehmen und auf seine Qualitäten hin überprüfen, wenn wir in dem Wust all dieser Jungschiller und Nachwuchsgoethes nicht sehr schnell versinken wollen. Das ist schon ein großer Druck und Zeitdruck, und es erfordert vom Lektoren viel Routine und Fingerspitzengefühl, in solchem Wahnsinnstempo dann auch tatsächlich die wenigen wirklichen Perlen herauszuklauben aus all den vielen Säuen.“

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